Donnerstag, 1. Januar 2015

Draußen vor der Tür

Feuerbachstraße, Samstag, früher Abend.
Ein Paar und eine Frau in den Sechzigern setzen sich schräg gegenüber. Die Frau schmal, drahtig, jungenhaft,
 hält einen enervierenden Vortrag über ihre Badminton-Sporthalle, das blendende Licht, die Schwierigkeit den Federball zu erkennen, demzufoge von ihm getroffen zu werden, anstatt ihn zu retournieren, die Lösung, ihn mit Textmarker anzumalen, geht über zu ihren Kollegen, die sich in der Mittagspause in ihre Smartphones vertiefen, "Das werde ich nie verstehen", empört "Was machen die da nur? Dass man einmal guckt, versteh ich ja, aber die ganze Zeit und ich sitz dann da wie blöde." Hochgradiger Sprechdurchfall. Wenn ich mit der Frau Pause machen müsste, würde ich mir zur Veranschaulichung meines mittäglichen Schweigegelübdes Mixed Pickles in die Ohren dekorieren und eine Schlafbrille aufsetzen.

Schöneberg, Samstag Nacht
Ein Mann stürzt in letzter Sekunde in die S-Bahn. Schwankt, Bierpulle in der Hand. Gut gekleidet, Gesicht nicht gezeichnet. Gepflegt. Setzt sich, randaliert nicht, nur hackedicht, auf stille Art. Steigt Rathaus Steglitz wieder aus und entschwindet mit Korsakow-Syndrom in die Nacht.

Rathaus Steglitz, Sonntag Nachmittag

Derselbe Mann steigt ein, wieder Bierpulle in der Hand. Nüchterner als gestern Nacht. Steigt Schöneberg wieder aus. Keine nennenswerte Gangstörung. Sein Radius scheint begrenzt, deckt sich aber mit meinen Terminen. Die Welt ist klein.

Südkreuz, Sonntag Nachmittag
Mann steht am Gebüsch, kaum 50 Meter entfernt von wartenden Passanten vor dem Bahnhofseingang. Fummelt sich umständlich an der Hose und pinkelt gemächlich in die Botanik. Nicht versteckt, nicht nach Privatspähre suchend, leicht gebeugt. Fummelt alles wieder rein, bleibt vornüber gebeugt stehen, sinnierend, fummelt alles wieder raus, weiter geht's im Takt. Die Prostata? Frage mich, was passieren würde, wenn Frauen mit Blasenentzündung keine Lust hätten, die 50 Meter zum Bahnhofsklo zu laufen. TaTüTaTa...

Tempelhof, Sonntag früher Abend
Ein Paar steigt ein, Mitte Zwanzig. Sie bleiben stehen. Sie spricht, sucht seinen Blick, er schaut über ihren Kopf hinweg, antwortet nicht. Sie lehnt sich an ihn, schließt ihre Arme um seinen Rücken, legt ihren Kopf an seine Brust. Er nimmt seine Arme hoch, als wolle er ausgiebig gähnen, streckt sich, es sieht aus, als wolle er sie abschütteln. Es klappt, sie gibt auf und rückt traurig ab.


Taxistand
Ich steig ein, nenne das Ziel, Fahrer erkennbar sauer, stöhnt auf. "Ist Ihnen die Strecke zu kurz?" - "Nee, isch hab Ärger mit Kolläge. Darf ich nicht Du sagen. Kommen alle von Horwad. Oder wie heißt amerikannische Uni?" - "Harvard?" - "Korrekt. Horwad. Hab isch ihm gesaggt, komm her und kannst mich berührren, wirst du sähn, was passiert, berühr mich nicht, wir können Freunde sein. Sagt der, Fresse halten. Sag ich, pass auf, was du sagen, Kolläge." Tonfall wird bedrohlicher, Stimmung unbehaglich. Ein Taxifahrer ist letzten Endes auch nur ein fremder Mann, zu dem ich Nachts ins Auto steige. Dann fängt er sich, meint leutselig "Aber isch würde niemals Ärger zeigen zu meine Kundänn, oder böses Gesicht, isch schwöre." Beim Abschied: "Ha ha, wir kommän alle von Horwad, hä?"

1 Kommentar:

  1. Sehr schöne Beobachtungen. Am meisten berührt hat mich "Tempelhof, Sonntag früher Abend".

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