Samstag, 29. August 2015

Fahrerflucht

Als ich in mein Auto steige, wundere ich mich. Ich hatte den Seitenspiegel doch gar nicht eingeklappt. Mach ich nie. Mein Auto ist so klein, das steht noch nicht mal im Weg, wenn ich quer auf der Straße parke. Sehr verdächtig. Da ist doch was im Schwange. Steige wieder aus, der Seitenspiegel hat außen eine Schramme. Nun steht das Auto direkt neben einem Gartentor. Um so eine Schramme hinzubekommen, hätte jemand aus dem Garten fahren müssen und in einer halsbrecherischen Linksabbiegung den Spiegel touchieren müssen. Aus diesem Garten kommt aber nie ein Auto, weil es ein Garten ist.

Ich grübel so vor mich hin. Kombiniere, wenn da oben eine Schramme ist, dann muss weiter unten auch was im Argen liegen. Watson, Watson. Und da: linker Kotflügel zerschrottet, Stoßstange rausgerissen. Wer weiß, wann mir das aufgefallen wäre, wenn der Seitenspiegel nicht eingeklappt gewesen wäre. Wahrscheinlich in drei Jahren. (Naja, das ist jetzt langatmig erzählt, selbstverständlich geschah das alles in Sekundenbruchteilen) 

Heiliger Zorn überkommt mich. Das wird teuer. Leider nur für mich. Wähle 110.

Ich seh mich um, frage die Bauarbeiter, ob sie was gesehen haben. Ja, da habe eben ein Sprinter rangiert. Ach, da vorne, da steht er. 50 Meter entfernt parkt er. Ausgezeichnet. Fahrerflucht mal ganz anders. Bißchen halbherzig. Schnell geh ich hin und sehe die Komplementär-Schramme. Polnisches Kennzeichen. 

Steh so'n bissel dumm rum, was soll ich nun tun? Geh wieder zurück, da kommt ein Mann aus einem Garten. "Gehört der Wagen Ihnen? Ja? Aha. Haben SIE mich angefahren?" Er gesteht sofort. Zerknirscht. Er habe nichts gemerkt, die Musik war so laut. Er wollte keine Fahrerflucht begehen. Das soll ich bloß nicht der Polizei sagen. 

Das habe ich auch nicht vor. Immerhin habe ich affenartiges Glück, dass ich ihn gefunden habe und er geständig ist, ohne dass ich die Gestehen-Sie-Lampe auf ihn richten musste. Ein gütiger Mann, der nichts gemerkt hat. Es gibt Versicherungen, die sowas regeln. Damit ist die Sache für mich erledigt. Außerdem glaube ich ihm. Ein bisschen. Kann passieren. Vielleicht ist er ein Schlitzohr, aber ein sehr freundliches oder ein sehr dummes. Auf jeden Fall nicht besonders effektiv. Ich mein, 50 Meter weiter zu parken, so doof kann man doch gar nicht sein.

Die Polizei kommt. Mit Schutzwesten an und bis an die Zähne bewaffnet. Du meine Güte, ich wohn doch nicht in Beirut. Wir sind inmitten von Bullerbü. Sie glauben seinen blumigen Ausführungen über das laute Radio nicht, er wird nervös. Ich schreite ein, behaupte, dass, als ich zu seinem Wagen ging, er sofort angelaufen kam und sich zu erkennen gab. Nein, keine Fahrerflucht. Wie lange es gedauert habe, bis wir uns gefunden haben? Keine zwei Minuten. Nein wirklich, keine Fahrerflucht. Sie schauen skeptisch, ich schau unschuldig. 

Als sie wieder fahren, sagt der Mann "Schade, dass wir nicht in Polen sind, könnte mein Schwager gleich reparieren." Er sieht mich treuherzig an. Er stellt mir eine Frage, das ist mir klar. Ich grinse. "Übertreiben Sie's nicht." Er lächelt. "Sag ja nur."

So hat ein jeder seine Träume. 

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