Sonntag, 3. Januar 2016

Harzreise im Winter

Ich hatte mir extra eine "Harz-Mütze" gekauft, weil ich vor Wochen davon ausgegangen bin, dass wir im tiefsten Schnee durch den Harz stapfen werden. Bei frühlingshaften Temperaturen fuhren wir los und mir fiel gar nicht schwer, zum rauchen vor die Tür zu gehen. Ich hab das sogar sehr gern getan, denn mit zehn Leuten fünf Tage lang in einem Haus zu leben, weckt auch bei brutalstmöglicher Harmonie die Sehnsucht nach Auszeiten. 

Eine Viertelstunde in den totenstillen Nebel zu schauen, mir einzubilden, dass jemand aus dem schauerlichem Gewabere auf mich zukommt, ein untoter Förster vielleicht oder ein Axtmörder, machte es immer wieder zu einem Vergnügen, mich erneut meinen nichtrauchenden Freunden innerhalb des Hauses anzuschließen. 





Die Harz-Mütze, ein bommeliges Exemplar, das mich an meine Kindheit erinnert, brauchte ich zunächst nicht. Gottseidank, denn ich habe weder ein Hut- noch ein Mützengesicht. Inzwischen ist es so kalt, dass mir völlig gleich ist, ob sie von meiner ungeeigneten  Physiognomie ablenkt oder nicht, denn ich habe Silvester einen folgenschweren Vorsatz gefasst: rauchen nur noch auf dem Balkon.

Um ehrlich zu sein, hielt ich das nach Rückkehr genau drei Stunden durch: bei minus 7 Grad in eisigem Ostwind auf dem Balkon zu stehen, was summa summarun gefühlte minus 27 Grad macht, kann keine Frau durchhalten. 

Ich fuhr im Auto meiner Freunde von gegenüber mit. Sie sind ein gut eingespieltes Paar, es bleibt keine Emotion im Verborgenen. Sie streiten wie die Kesselflicker und eine halbe Stunde später zeugen sie ein Kind. Eine sehr dynamische Beziehung, was mir gut gefällt. Kurz vor Magdeburg fiel ihm ein, dass er ein Tablet haben will. Sie weigerte sich, die Autobahn zu verlassen, die Stimmung kippte. Ich intervenierte; sie wisse doch, dass er die ganze Woche greinen würde, denn er kauft gerne ein; allerdings kann er nichts verschieben - ist der Gedanke erst im Kopf, sitzt er auch schon im Auto und fährt für Teelichter bis nach Hamburg.

Jedenfalls beriet ich ihn und nach 20 Minuten sprangen wir wieder ins Auto. Ich spürte seine Entspannung und sein unmittelbar folgendes Desinteresse an seinem Neuerwerb, kein Wunder, man könnte habilitieren über seine Kaufsucht.

Anyway, wir kamen pünktlich in dem einsamen Försterhaus an. Ich hatte keine großen Erwartungen und wurde überrascht, denn es entpuppte sich als so ziemlich das geschmackvollste Ferienhaus ever. Drei Bäder plus zwei Gäste-WCs, und auch sonst blieben keine Wünsche offen. 

Wir hatten auch ein Silvester-Geburtstagskind dabei, das sich allerdings am Vorabend, kurz vor Mitternacht, mit ihrem Mann in die Wolle bekam, so dass sie zwar noch sein Geschenk stumm entgegen nahm (unser Gruppengeschenk - ein einwöchiger Aufenthalt im Vabali - verpuffte in der angespannten Trennungsstimmung), sich dann ins Bett legte, ab 4 Uhr morgens zu kotzen begann und damit bis Neujahr nicht mehr aufhörte. 

Die Unglückliche fehlte uns sehr beim Krimidinner, sie war als die triebhafte Schlampe Adelheid eingeplant - ihre Rolle musste von der Spielleiterin übernommen werden, die aufgrund der Doppelbelastung ein wenig ins schwimmen kam. Ich war die reiche und elegante Elvira, die mit ihrem Geld die Hanfplantage am laufen hält, aber mit José ein neues Glück auf Ibiza finden will, der sich im Spielverlauf als Vagina-überdrüssiger Gynäkologe Josef entpuppte und nur so tat, als sei er ein Frauenheld. 

Angesiedelt war das Setting auch noch in den 70er Jahren, weshalb wir uns kurz vor Weihnachten bei Deko Behrends in der Hauptstraße einfanden, um uns einzukleiden. Die Männer bekamen falsche Koteletten, Oberlippenbärte, alberne Spiegelglasbrillen und fanden nach anfänglichem Gemecker über diesen Idiotenscheiß recht schnell in ihre Rollen.

War ich sauer, als ich meine Rollenbeschreibung kurz vor Spielbeginn las: ich musste einen weißen Kopfverband tragen, weil mir Babette, die Inselköchin, eins über die Rübe gezimmert hatte. Ich band mir Zewa-Wisch-und-Weg um den Kopf und befestigte es mit dem Blumenkranz, der eigentlich so trefflich mein Haupthaar in Szene setzen sollte. Ich erwähnte glaube ich schon, dass ich kein Hutgesicht habe und sorgte dafür, dass von mir keine Fotos existieren.  

Dann war Mitternacht und wir gingen raus: Totenstille, kein Feuerwerk weit und breit. Wir waren ja mitten im Wald, aber vorbereitet mit Raketen im Wert von 25 Euro und anderem kläglich zischenden Böllerkram. Ungefährlich war das natürlich trotzdem nicht in unseren 1000%-Vollplastik-Klamotten. Nach zehn Minuten war alles Pulver verschossen und es herrschte wieder Totenstille bei 95 Grad Luftfeuchtigkeit, der Nebel waberte. Spooky. 

An Neujahr wollte ich auf den Brocken, wegen der tollen Aussicht. Die anderen fanden die Idee gut. Allerdings wollten sie nicht mit dem Zug hochfahren, sondern hoch wandern, sie sind so verdammt vital. Ich hab ja Knie und schlich mit der geschwächten Adelheid magenfreundliche anderthalb Stunden duch den Wald direkt vorm Försterhaus. 

Auf dem Brocken war es so neblig, dass die Sportskanonen kaum die Hand vor dem Gesicht sahen, und kaum waren sie oben angekommen, fuhr auch schon 18 Minuten später der Zug wieder nach unten, wofür jeder 24 Euro zahlen musste. 

Hätten sie mal vorher Goethe gelesen: 

"Nur ein Wort zur Erinnrung. wie ich gestern zum Torfhause kam sas der Förster bei seinem Morgenschluck in Hemdsermeln, und diskursive redete ich vom Brocken und er versicherte die Unmöglichkeit hinauf zu gehn, und wie offt er Sommers droben gewesen wäre und wie leichtfertig es wäre ietzt es zu versuchen. Die Berge waren im Nebel man sah nichts, und, so sagt er ists auch ietzt oben, nicht drei Schritte vorwärts können Sie sehn. Und wer nicht alle Tritte weis pp. Da sas ich mit schwerem Herzen, mit halben Gedancken wie ich zurückkehren wollte."

Auf der Rückfahrt machten wir erneut in Magdeburg halt, denn das Tablet musste umgetauscht werden. 

Ich aß in eisigem Wind gleichmütig eine Bockwurst, die Harz-Mütze schützte vor Gefrierbrand im Oberstübchen. Niemandem fiel auf, dass ich kein Hutgesicht habe.

6 Kommentare:

  1. War das jetzt ganz schrecklich oder ganz schrecklich schön? Zwischen den Zeilen ist alles zu lesen von Hüttenkoller, Gruppenkollaps bis Nestwärme ... langweilig schien es jedenfalls nicht zu sein. Happy new year!

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  2. Ganz herrlich! Da hätte ich gerne mitgemischt, bereit in jegliche Rolle zu schlüpfen von der Zugehfrau des Pfarrers bis hin zur skrupellosen Kriminellen. ;)
    Übrigens sehr schöne und stimmungsvolle Bilder, ich mag die Nebelruhe ja.

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    1. Recht schnell waren wir alle skrupellos. Das war das Schöne daran. Hätte ich vorher nicht gedacht.

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  3. Das Tablet musste umgetauscht werden gegen was?!

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