Sonntag, 8. Mai 2016

Sieht aus wie Sommer, ist es aber nicht

Meine Vorfreude hätte nicht größer sein können, angesichts vier freier, sonniger Tage.

Donnerstag: Die Pferdebesitzerin schreibt mir, ob ich nicht allein mit dem Pferd spazieren gehen will, ein bißchen grasen und so, da freut es sich, ich muss es nur von der Koppel holen und acht geben, dass die anderen Pferde nicht stiften gehen, wenn ich das Gatter aufmache. Aha. Eine Lernaufgabe. Ich fahr hin, der Ostwind pfeift mir um die Ohren. Mir ist bang, denn bei Wind sind Pferde tricky, da erschrecken sie sich schnell, springen zur Seite, direkt auf mich drauf, schlimmstenfalls. 

Ich habe Glück, keine Pferde, die ich vom Gatter verscheuchen muss und meins kommt gleich angetrabt. Führstrick angebappt, Gatter auf, das Pferd hinter mir raus, ich dreh es um, lasse das Gatter wie befohlen nicht los, aber da ist Gras in der Nähe und schon stehe ich im Spagat. An der einen Hand das äußere Ende des Führstricks mit einem Pferd im Glück, an der anderen Hand mit nur noch zwei Fingern das Gatter. 

Die anderen Pferde nähern sich neugierig, ich überschlage im Geiste, ob meine Haftpflichtversicherung dafür aufkommt, wenn jetzt sieben Gäule ausbüxen, über die Wiese bis zur Schnellstraße und 27 Autos ineinander rasen.

Da steh ich nun, mit Puls 200 und Stressinkontinenz. Ich muss eine Entscheidung treffen, lass das Gatter los, ziehe mit aller Kraft am Führstrick und dreh das Pferd wieder da hin, wo es stehen soll. Schnell das Gatter zu, aber nun bin ich außer Balance. Mit zitternden Knien und Schnappatmung gehe ich los. Es hält keinen Sicherheitsabstand zu mir, es hat wirklich alles verlernt, du meine Güte, wir waren doch schon viel weiter. Meine Dominanz ist gefragt. 

Ich greife zur Methode 'Fake it till you make it', aber das Pferd ist ja nicht doof; obwohl es ein winzig kleines Gehirn hat, reicht es locker, eine Bekloppte von einer Respektsperson zu unterscheiden. Fazit: für Ausflüge zu zweit bin ich nicht dominant genug, da können meine Schwestern hundertmal Domina zu mir sagen.

Freitag: DoKo bei mir im Garten. Ich schleppe die Gartenmöbel aus dem Keller, drapiere sie im geschändeten Garten inmitten von abgeholzten Sträuchern, die riesige Tanne immerhin hat der Mörder stehen lassen, decke den Tisch, freue mich, denke, is'n bissel windig, macht nüscht. Als alle kommen, ziehen sie sich pflichtbewusst aus, also untenrum, die nackten Füße ins Gras, es ist sommerlich, jedenfalls sieht es so aus, Kaiserwetter. Nach 15 Minuten ziehen sich alle wieder an, der Wind, es ist huschig. Karten spielen draußen unmöglich, also rein in die Bude. Bald denken die Nachbarn, wir haben einen neuen Pabst gewählt, fünf Raucher bei offener Balkontür.

Samstag: Spargel und Schnitzel in einem anderen Garten. Wir kommen an und ziehen uns aus, untenrum, wie schon gesagt, der Wind, wir essen schlotternd den Spargel, das Eis, die Erdbeeren, ich sehne mich nach Winterstiefeln, einer Kürbissuppe und einer Wärmeflasche im Rücken, der Hausherr versorgt uns mit Fließ, um 23 Uhr gebe ich auf, mit eisig kalten Füßen, man muss sein Schicksal nicht herausfordern. 

Sonntag: Ich eröffne die Freibadsaison. Wie schön, das ganze Becken für mich, schau neugierig zur Anzeigetafel, auf der die Außen- und die Wassertemperatur steht. Letztere wird heute verheimlicht, als ich ins Wasser gehe, befürchte ich ernsthaft, einen Herzinfarkt zu erleiden. Höchstens 17 Grad, wenn überhaupt. 

Ich schwebe praktisch gelähmt im Wasser, der Wind schubst mich sachte von der einen Seite zur anderen, ich kann meine Finger nicht mehr zur Faust machen, auch nach 50 Minuten ist mir immer noch arschkalt und als ich aus dem Wasser steige, gehe ich gefällt von der Erdanziehungskraft und steif wie ein Roboter zur Dusche, um wieder Leben in die Glieder zu bekommen. 

Dann lege ich mich auf die Wiese, aber es ist kein Frieden zu bekommen. Orkanböen verleiden mir mein Ritual (duschen, essen, lesen, schlafen), denk ich, okay, ich hab doch einen Garten und da werde ich jetzt den letzten freien Tag in aller Ruhe ausklingen lassen, komme, was wolle. 

Die große Tanne, das einzige Ding, was noch rauschen kann, rauscht sich einen Wolf mit zig Dezibel, ist direkt eine Lärmbelästigung, sie biegt sich zudem gefährlich, ohne die Sträucher liege ich voll im Durchzug, da nützt die schönste Sonne nichts, wenn der Polarwind braust. 

Gut, denke ich, das halbe Jahr ist fast rum, bald steht Weihnachten vor der Tür, gewöhne ich mich schon mal dran, geh rein, Wärmflasche in den Rücken, ab unter die Decke auf's Sofa, nur Kerzen habe ich nicht angemacht, aber beinah.

2 Kommentare:

  1. Danke für "Stressinkontinenz". Wortschatzerweiterung!

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    1. Dass es noch Wörter gibt, die du nicht kennst...:)

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