Sonntag, 31. Januar 2016

Alles hat ein Ende

Kürzlich haben Tikerscherk und der Kiezneurotiker über dasselbe Thema geschrieben: was passiert, wenn wir in die ewigen Jagdgründe gegangen sein werden? Zwei ganz unterschiedliche Texte. Die eine fragt sich, wer wird sich an mich erinnen und wie lange werde ich in den Gedanken und Herzen meiner beloved ones sein. Der andere schreibt, dass das alles ganz egal ist und genau das würde ihm gefallen; allerdings betreibt er keine melancholische Innenschau, sondern beschränkt sich (gewohnt fatalistisch) auf den Blogger-Nachruhm. 

Jedes Kind hat wohl schon mal den Tod aus Trotz phantasiert, wenn ich erst tot bin, wird sich Papa aber ärgern, dann merkt er, wie blöd das von ihm war, dass ich unbedingt Handschuhe anziehen sollte. 

Ich habe mir mal ausgrechnet, wie lange man sich meiner erinnern wird. Ich kam auf ein ernüchterndes Ergebnis. Da ich nicht in adeligen Kreisen geboren wurde und auf keinen Stammbaum bis ins 13 Jahrhundert verweisen kann, meine engere und weitere Familie gar bestürzend traditionslos und weit verstreut vor sich hinlebt; wir uns so selten sehen, dass uns nur eine Beerdigung an einen Tisch bringt, kenne ich in der Folge nicht mal die Namen meiner Urgroßeltern. Sie waren schon lange tot, als ich auf die Welt kam. Sie hatten wohl auch keine bemerkenswerten oder ulkigen Charakterzüge, die erzählenswert waren, denn es wurde schlichtweg nie über sie gesprochen. 

Wenn unsere Familientradion der Traditionslosigkeit aufrechterhalten wird - bis jetzt sieht alles danach aus - und ich nicht eines Tages doch noch weltberühmt werde, werden mich noch die Kinder meiner Nichten namentlich und persönlich kennen, aber dann werde auch ich dem endlosen Vergessen anheimfallen. Hm. So weit, so schlecht. 

Was ich am sterben so besonders blöde finde, ist, dass ich nicht weiterleben kann. Ich kann mir eine Welt ohne mich nicht vorstellen. Alles soll weitergehen, ohne mich? Ich soll nicht mehr dabei sein? Wer hat sich denn so einen Scheiß nur ausgedacht? Wer schmeißt uns ins Leben, nur um dann ein Leben lang der Angst vor dem Tod ausgesetzt zu sein? Okay, zwischendurch passieren mit etwas Glück auch ein paar spektakulär schöne Dinge, aber als Hintergundrauschen ist das Wissen um diesen einen durch nichts aufzuhaltenden Moment immer da. 

Man hört so vieles übers sterben. Was wohl alle eint, dass am Ende kein Bedürfnis, keine Kraft oder keine kognitiven Fähigkeiten mehr vorhanden sind, sich mitzuteilen. Eindringlich zu lesen bei Wolfgang Herrndorf, der sich so mitleidlos wie brillant mit seinem eigenen Sterben auseinandergesetzt hat. 

Dann habe ich einen Freund, der beinah mal ertrunken ist. Er beschrieb, dass er minutenlang gekämpft hat, dann verließen ihn die Kräfte und er spürte, dass es keinen Zweck mehr hat, er gab auf. Dann kam dieses Licht und der Frieden und als eine Welle ihn dann doch ans sichere Ufer spuckte, war er direkt sauer. Er habe seitdem keine Angst mehr vor dem Tod. 

Ich hab mal gelesen, dass genau diese Wahrnehmungen körpereigene Drogen sind, die das Gehirn ausschüttet, wenn es soweit ist. Eine gute Einrichtung, aber noch beruhigter wäre ich, wenn ich schon heute wüsste, dass ausnahmlos jeder Mensch in den Genuss so eines Trips kommt. 

Neben meinen Phantasien, wie die Welt wohl ohne mich wäre, wieviele Menschen traurig wären und wie lange sie wohl an mich denken werden, treibt mich vor allem ein Gedanke um und den kann und kann ich nicht abstrahieren, so gerne ich mein eigenes Sterben gelassen in eine höhere Allgemeingültigkeit einbetten würde (es sind schon so viele Menschen vor mir gestorben und so viele werden nach mir sterben, dann werde ich das wohl auch schaffen): wie wird sich der Moment selbst anfühlen? 

Werde ich wissen, dass es soweit ist? (dessen bin ich mir sicher, außer mir fällt ein Blumentopf auf den Kopf) Woran werde ich es erkennen? Wird mir kalt? Oder warm? Werde ich ausflippen vor Angst? Werde ich in meinen letzten Momenten irre darüber, dass es jetzt vorbei ist? Wird es weh tun? Werde ich mich sehr wehren? Wird es alptraumhaft oder werde ich ganz ruhig sein? Werde ich traurig sein über die Dinge, die mir nicht gelungen sind? Werde ich zufrieden sein mit dem Leben, das ich hatte? Werde ich das Gefühl haben, alles ist getan, alles ist gesagt?

Man weiß es nicht. Aber man wird's erfahren.

Mittwoch, 27. Januar 2016

Noch eine Trennung

Seit Menschengedenken bin ich in einem Lesekreis, Literaturzirkel, wie auch immer man das nennen will. 

Zwei sind schon weggestorben, eine ist untergetaucht, weil ihr Mann die "Ich-geh-mal-Zigaretten-holen"-Nummer gebracht hat, wofür sie sich so geschämt hat, dass wir sie nie wieder gesehen haben. Außerdem konnte sie ihrer besten Freundin nicht verzeihen - ebenfalls eine der Unsrigen - dass diese ihr all die Monate zuvor nichts davon erzählt hat, dass der Abtrünnige sich haufenweise Geld bei ihr geliehen hatte. Dann hätte sie eine Vorwarnung gehabt, dass was faul ist im Staate Dänemark. 

So stolperte sie blind in ihr persönliches Waterloo, als sie ihrem Mann freudig hinterher rief "Bis gleich", der kurz vor Antritt der Reise sagte, er müsse noch mal kurz zur Bank, frisches Geld holen. Dann stand sie da, mit den gepackten Koffern unten auf der Straße und er kam und kam nicht wieder. 

Das ist natürlich überhaupt nicht lustig. Das ist sogar richtig beschissen. Vierzehn Tage später (sie hatte mit der Polizei gesprochen, alle Krankenhäuser abgeklappert, erkannt, dass alle Konten bis weit über Anschlag leergeräumt und alle privaten Versicherungen längst gekündigt und an ihn ausgezahlt waren), bekam sie einen Brief von ihm, sie solle nicht nach ihm suchen, es tue ihm leid, er könne nicht anders. Wir hatten kollektive Mordphantasien. 

Ihre wohlhabende beste Freundin bot ihr weiteres Geld an, um über die Runden zu kommen und die schlimmsten Löcher zu stopfen, aber sie verweigerte das und verwies auf das Ende der Freundschaft. 

Wir haben dann aufgestockt. Erst kam eine Lehrerin dazu, die unauffällig blieb, oft waren wir zwei einer Meinung, was wir uns weitestgehend durch zustimmendes oder verneinendes Kopfnicken signalisierten. Sie trägt einen Pagenkopf und rollt bedächtig das R.

Dann kam eine Psychiaterin in unsere Runde, die sämtliche Romane nach massiven psychischen Störungen der Protagonisten und/oder des Schriftstellers durchforstete, außerdem schwurbelte sie dabei, dass mir ganz karusselig wurde. "Ja, natürlich, das ist das psychotische Element, das tief in ihm verborgen liegt. Eine lupenreine Externalisierung seiner eigenen kranken Anteile, auf einer unbewussten Ebene. Es hat mich in tiefster Seele berührt." Praktisch von allem wurde sie in tiefster Seele berührt - ging mir das auf den Zeiger!

Ein Jahr lang hörte ich mir das an, bis ich letzten Freitag die Faxen dicke hatte und spontan beschloss, dass ich genug gehört hatte. Ich verkündete meinen Abgang, aus Zeitnot, was zwar nicht die ganze Wahrheit ist, aber auch nicht direkt gelogen. Man bot mir an, ab jetzt ganz dünne Bücher zu lesen, die Lehrerin nickte mir aufmunternd zu. Ich lehnte ab, sie sollen bitte lesen, was immer ihnen beliebt.

Ungewohnt, dass ich kein Pflichtbuch mehr rumzuliegen habe. Jetzt muss ich wohl lesen, was ich lesen will.

Montag, 25. Januar 2016

Ich wär so gern Privatpatient

Hab vor zwei Wochen einen Deal mit meinem HNO-Arzt gemacht: bevor an mir rumgeschnippelt wird, soll ich möglichst jeden Morgen vor der Arbeit kommen, um mir meine Dosis Druckluft abzuholen. Ich brauch mich nicht anzumelden, ich komm zwischendurch schnell dran, dauert ja nur 10 Sekunden. Ich gurke also jeden Morgen 20 Kilometer im Stau. Irgendwie muss man ja seine Zeit auf Erden rumkriegen.

Letzten Montag (ich war übers Wochenende wieder ertaubt) komme ich an, der Arzt ist nicht da. Aber es ist ja eine Praxisgemeinschaft, also setze ich mich ins Wartezimmer, ich muss ja nicht warten, ich komme zwischendurch dran. Nicht.

Nach 20 Minuten gehe ich zur Rezeption und greine ein bisschen. "Ja, Moment, ich setze Sie an erste Stelle." Ich setze mich wieder ins Wartezimmer, prompt wird die Nächste aufgerufen. Ich bin es nicht.

Ich stürme nach vorne, so geht das nicht, es gibt doch eine Verabredung. "Da können wir auch nichts machen." Ich kann nicht länger warten. Frage, ob mein Arzt morgen wieder da ist, ja, ist er. Angesäuert fahre ich ins Büro.

Dienstag morgen erneut in die Praxis, inzwischen kann man neben mir die Schallmauer durchbrechen, ich würde nichts davon mitbekommen. "Der Arzt ist nicht da. Und es sind 15 Leute vor Ihnen dran." - "Waaaaas? Aber Sie haben doch gesagt..." - "Er ist erst heute Nachmittag da." Ich bekomme einen Tobsuchtsanfall, böse Worte fallen, irgendwas mit Scheißladen und Torfnasen. Ich fahre schnaubend ins Büro, um am Nachmittag erneut aufzukreuzen.

Nachmittags ist der Arzt da, ich hatte einen Termin in der Nähe. Ich bin natürlich schlau und rufe vorher an, leider ist dauerbesetzt. Ich hatte also mehr Glück als Verstand. Ich komme ins Behandlungszimmer, bereit, dem Arzt klarzumachen, dass er eine Horde unfähiger Triefnasen beschäftigt, da... da meckert er mich an. Mich! Er mich! Wie ich denn so mit seinen Damen reden könne. Das geht gar nicht, sacht er.

Ich bin sprachlos. Aber ich brauch die Druckluft, mehr als alles andere auf der Welt. Ich kann jetzt keine Konflikte lösen. Jedenfalls nicht gewaltfrei. Als ich gehe, ignorieren mich die Triefnasen triumphierend.

Donnerstag und Freitag geht alles glatt, bis immerhin Sonntag Nachmittag konnte ich hören, dann wieder alles wie durch Watte. Wollte also heute früh wieder hin, anrufen bringt ja nichts, also schrieb ich eine Mail. Wenn die schon eine Kontaktseite auf ihrer Homepage haben, kann man die auch benutzen. Ob denn der Arzt da sei, ich wäre dann um 9 Uhr in der Praxis. Bekomme sogar Antwort, "Ja", während ich schon im Auto sitze.

Komme ins Behandlungszimmer, müllert der mich wieder an, so sei das aber nicht geplant, dass er jetzt Mails beantworten muss, das sei eine Ausnahme, dass er heute geantwortet habe, das geht gar nicht.

HÄ? Ich bin sprachlos. Weiß ich denn, dass sein tumbes Personal auch noch zu bekloppt ist, das Mailprogramm zu bedienen? Denkt man denn bei einem Kontaktformular, dass der Halbgott in weiß himself zu antworten gezwungen ist? Kommt da irgendjemand drauf, dass man eine Zumutung ist, wenn man so ein bescheuertes Kontaktformular ansteuert? 

Das alles geht mir so im Kopf herum, aber ich brauche die Druckluft. Ich befinde mich in einem ausweglosen Abhängigkeitsverhältnis. Vergesse vor lauter inneren Dialogen zu fragen, ob er denn diese Woche jeden Tag in der Praxis ist. Das heißt, ich fahre morgen früh wieder auf blauen Dunst zu ihm. Wahrscheinlich ist er nicht da und 27 Patienten vor mir dran.

Wie gesagt, ich bin eine treue Seele. Im Prinzip fahre ich ja auch gerne Auto. Und mein Leben muss ich auch irgendwie rumkriegen. Muss ja, nä?

Samstag, 23. Januar 2016

Loslassen

Im August 2014 schrieb ich anderswo:

"Komm wir nutzen den letzten Sommerabend." So geht das seit Tagen in unserem vorbildlichen Projekt "Altersgerechtes Wohnen ab Ende Vierzig". Ich komm nach Hause geradelt und werde schon erwartet von den Damen Thüringen und Niedersachsen, die sich Kaltgetränke einverleiben. Sie sind immer viel früher als ich zuhause, weshalb über die Jahre der Eindruck wächst, ich sei die Einzige, die wirklich arbeitet. 
 
Als die Damen vor einigen Jahren zwei freistehende Häuser auf einem Grundstück kauften, nachdem sie ihre Männer überzeugt hatten, dass ein eigenes Haus im Grünen unwiderlegbare Vorteile hat ("Und wenn mein Kamerad dann seinen Apoplex bekommt, schieb ich ihn in den Garten und abends hole ich ihn wieder rein. Das habe ich ihm in die Hand versprochen. Aber wenn er inkontinent wird, kommt er ins Heim.") dachte der Rest "Ob das wohl gut geht? Wenn die sich mal zertreiten."  
 
Zwei Jahre nach Einzug wurde auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Wohnung frei, die mir angeboten wurde und bei der Besichtigung zischte mir Frau Thüringen schon im Flur zu "Wenn du die nicht nimmst, sind wir geschiedene Leute." Ja, es war Liebe auf den ersten Blick, aber auch ich stellte mir ängstlich die Frage "Ob das wohl gut geht? Wenn wir uns mal zertreiten."  
 
Auch für die Vierte im Bunde, die Gute Miene, fanden Frau Thüringen und MvFT (= Mann von Frau Thüringen) ein Objekt mit Garten,ein bissel entfernt zwar, aber auch sie fragte sich damals "Ob das wohl gut geht? Was ist, wenn ich meinen Ausblick aus dem dritten Stock vermisse?", denn leider war nur ein herkömmlicher Garten zu ebener Erde vakant. 

Wir haben eine klare Vorstellung von unserem Alter: wir teilen uns eine Krankenschwester, die uns den Hintern abwischt und fragen sie, ob ihr auch schon aufgefallen ist, dass Frau Niedersachsen langsam zu riechen anfängt. Und wir bestellen einmal Essen auf Rädern. Wer zuerst an der Tür ist, kriegt es. Survival of the fittest. 

Frau Niedersachen fährt mit MvFT auf Kreuzfahrt. Sollte Frau Thüringen früher als erwartet das Zeitliche segnen, darf MvFt sein spätes Glück mit ihr finden. Da sei er in guten Händen. 

Ich werde mir von dem Geld meines Millionärs ein Pony kaufen und mit ihm spazieren gehen. Damit erhoffen wir uns eine freundliche Gesinnung von Frau Niedersachsens pferdebegeisterter Tochter, die für uns alle die Vormundschaft übernimmt, während die Gute Miene nie die Freuden der Rente erleben wird, denn sie muss uns osteopathisch behandeln, bis wir eines Tages ganz gesund sterben.
 
Durch widrige Umstände ist MvFT unser Quotenmann und wir hegen und pflegen ihn nach Kräften. Noch einen Verlust können wir uns nicht leisten. Die Gute Miene hat eine Fernbeziehung, der zählt also nicht. Und mein Ex-Hesse zählt schon gar nicht. 
 
"Der letzte Sommerabend" wird immer im Garten von Frau Thüringen genossen, sie hat am längsten Sonne auf dem Grundstück. MvFT verbirgt seine Empfindungen sehr gut, wenn er unser angesichtig wird. Ich nehme an, er freut sich. Ich hoffe es zumindest, denn wir wollen ihn ja, wie gesagt, auf dem Grundstück halten. Die Jahreszeit spielt ihm in die Hände, um 20 Uhr wird es dunkel und wir verschwinden. "Keine Verkühlung riskieren" warnt Frau Thüringen. Bis jetzt ist alles gut gegangen.  
...........

Ich bin ein großer Feund vom loslassen. Theoretisch. Ich bin eine begabte Ratgeberin für Menschen, die sich in Trennungen befinden. Ich erkläre ihnen, weshalb es so wichtig ist, loszulassen. Der Vorteil, der sich für einem selbst daraus ergibt, sich in sein Schicksal zu finden. Zu kapitulieren, wenn man nicht mehr gewünscht ist. Sich nicht zu wehren, denn dann dauert es noch länger, bis man sich wieder erholt. Dass man nicht an Dingen festhalten sollte, die vergangen sind, dass es sinnlos ist, zu sagen "Aber er hat doch erst neulich gesagt..." Ich bin mal verlassen worden, zehn Minuten nachdem mir gesagt wurde, ich sei das Allerliebste auf der ganzen Welt. Das sind nur Worte. 

Aber wenn der/die andere nicht mehr will, dann erspart man sich eine Menge, wenn man das akzeptiert. Die Gründe sind am Ende irrelevant, der eigene Wunsch nach Klärung oder gütlicher Einigung ebenso. Man steht vor einem Stopp Schild und das ist eine klare Ansage, auch wenn es das einzige ist, was klar ist. Mit dem Rest muss man allein fertig werden, oder bespricht es mit anderen, in der Regel aber nicht mehr mit dem, der die Tür ab jetzt verschlossen hält.

Da ich nicht nur bestimmte Männer von ganzem Herzen liebe, sondern auch bestimmte Frauen, ist eine Trennung von ihnen ebenso schmerzhaft. So gesehen befinde ich mich mittendrin im beschissenen Prozess des Loslassens.

Unser Bullerbü gibt es nicht mehr. Eine von uns hat den Faden zu den drei anderen gekappt. Uns allen war die Freundschaft soviel wert, dass wir bei einem Profi waren. Wir sind dort unglücklicher wieder raus gegangen, als wir es vorher waren. Der Profi war 'ne Nulpe. 

Drei Tage später erhielten wir alle einen Brief. Schluss, aus, vorbei. 
Jetzt ist es doch schief gegangen.

Mittwoch, 20. Januar 2016

Blogstöckchen

Tikerscherk hat mich mit einem Blogstöckchen bedacht. I'll try my very best.


Eine Abenteuerreise wartet auf Sie. Was wäre für Sie das absolute Abenteuer? 
In ein Flugzeug zu steigen. Ziel egal. Das wäre auch ein Abenteuer für die Mitreisenden. Ich wäre die Erste, die oben die Tür aufbekommt, mit eigener Hände Arbeit.

Sie dürften bestimmen, wer eine Spende von 10.000 € bekommt. Wer wäre das und warum?
Ich würde alles G.W. geben, dann könnte sie es mal richtig krachen lassen.

Für einen Tag dürften Sie in die Haut eines anderen Menschen schlüpfen. Von wem wüssten sie gerne, wie sich sein Leben anfühlt?
Kim Jong-un oder Putin - um zu checken, ob meine Hobby-Diagnose nach Klassifikation ICD-10 stimmt. 

Und welches Tier wären Sie gerne, wenn das möglich wäre?
Die Steinlaus. Zwei Fliegen mit einer Klappe: unsterblich und in Deutschland weltberühmt.

Hat schon mal ein Traum Ihr Leben beeinflusst?
Ja. Wann immer ich von (durchgeknallten) Pferden träume, passiert was Schlimmes. Es fing damit an, dass ich träumte, dass mich ein schwarzes Pferd umrennt, ein paar Tage später fand ich mich auf der Intensivstation wieder. Und so ging das immer weiter. Es betrifft auch andere, ich weiß aber vorher nie, wen. Ich könnte einen Extra-Blog damit füllen...

Lieblingsbücher liest man gerne mehrfach. Welches haben Sie am häufigsten gelesen?
Simone Borowiak: Frau Rettich, die Czerni und ich. Ich würde gerne behaupten, ich würde alle drei Jahre die "Korrekturen" lesen, oder "Ein unendlicher Spaß", aber das wär gelogen, das Leseerlebnis lässt sich nicht wiederholen.

Wenn Sie in ein anderes Land fliehen müssten, dessen Sprache sie nicht sprächen und wo Ihre Berufsausbildung nicht anerkannt würde, mit welchen Fähigkeiten könnten Sie sich den Lebensunterhalt verdienen?
Ich müsste wohl verhungern. 

Verraten Sie uns ihr Lieblingsrezept (für diejenigen, die nicht kochen oder backen: Ihr Lieblingsgericht)?
7 Tassen Salat: Sahne, Gewürzgurken, Apfel, Sellerie, Matjesfilet, Ananas, Zwiebeln zu gleichen Teilen kleinschnippeln, ziehen lassen, immer kalt aus dem Kühlschrank essen.

Unter Ihrem Balkon soll jemand ein Ständchen singen. Sie dürfen sich Sänger_in und Lied wünschen. Also, wen und was wünschen Sie sich? 
Die Berliner Philharmoniker: Ein deutsches Requiem. Dann hätten auch die Nachbarn was von. Mein Chor hat sich ein Jahr lang dran versucht, bis der Chorleiter entnervt aufgab. Ich fand's schade, ich hätte es gerne die nächsten 10 Jahre für immer weiter geprobt. 
Oder Zero 7, Distractions

Auf welche fünf Lebensmittel können Sie nicht verzichten?
Brot, Tee, Schokolade, Kartoffeln, Zigaretten

Die Elf ist die Zahl des Narren. Wenn Sie sich denn verkleiden würden, als was würden Sie zum Karneval gehen?
In Niedersachsen geboren, in Berlin lebend. Verkleiden ist meine Sache nicht.


Wer immer mag, fängt sich das Stöckchen. 

Sonntag, 17. Januar 2016

Frauen

Als ich noch mit der Grauen Eminenz lebte, hatten wir verschiedene Hobbys. Er brachte mir Schach bei, aber ich konnte selten über den zweiten Zug hinaus denken, deshalb gewann er jede Partie, was ihn einerseits freute, denn er will immer gewinnen, andererseits langweilte ihn meine Minderbegabung. 

Er versuchte es mit Skat und ich kann sagen, dass wir nächtelang gespielt haben; wenn kein dritter Mann zugegen war, spielten wir Offizierskat. Ich war ihm ebenbürtig. Ich höre. Bin draußen. Ich bin unverschuldet in Not. Was einmal geht, geht zweimal. Das war unsere hauptsächliche Konversation, die wir problemlos in unseren Alltag integrierten. Sätze voller Allgemeingültigkeit.

Wer Skat begriffen hat, hat eine natürliche Begabung für Stufe 2: Doppelkopf. Womit wir uns ebenfalls die Nächte um die Ohren schlugen. Ich war im Fieber, das war was anderes als Monopoly, wo unser Vater immer die Schlossstraße kaufte und seine Töchter mitleidlos in den Ruin trieb.

Aber all das ist lange her. Nun hat die Auftragsmörderin vor einiger Zeit eine umfangreiche Doodle Liste verschickt, mit unzähligen Terminen für DoKo-Abende. Sie ist in den Sog einer Gruppe geraten und als gute Freundin wollte sie, dass auch ich meine Abende in windigen Hinterzimmern verbringe. "Es darf auch geraucht werden." Ihr Lockruf.

Gestern fand ich mich in einer Kreuzberger 1-Zimmer-Hinterhofwohnung im dritten Stock wieder. Es war unfassbar kalt außerhalb des Zimmers, das beheizt wurde von einer sogenannten Heizung, die gegen die Genfer Menschenrechtskonventionen verstieß; ich wusste, dass ich an diesem Abend mein Leben beschließen würde, dank einer schleichenden Kohlenmonoxidvergiftung. Seht ihr das blaue Flämmchen rechts unten?


Vier rauchende Leute in einem Zimmer, das nicht gelüftet werden konnte, weil es blitzartig eisig wurde, sobald man das Fenster einen Spalt öffnete oder man die Tür zum Flur öffnete, um auf's Klo zu gehen, was weitere Überwindung kostete - ich schätze, dieser Abend hat mich sechs Monate Lebenszeit gekostet. 

Aber das ist Nebensache, denn das eigentlich Gute war, dass vier Frauen im Alter von 27-58 zusammen saßen und alle Grenzen verschwanden. Es gibt zwischen den Generationen einfach keine natürlichen Altersgrenzen mehr. 

Als die Älteste von ihrer Dezember Affaire erzählte, und zwar auf so elegante und nonchalante Art, die mich jedes Wort glauben ließ, konterte die Jüngste mit einem Exkurs in ihre eigene Beziehung, die derzeit unter dem ärgerlichen Einfluss der beendeten Master-Arbeit ihres Freundes steht, begleitet von den üblichen Gefühlen der Leere, Depression und Sinnlosigkeit, die er leider an ihr auslassen muss. 

So unterschiedlich alt wir sind, so wenig unterscheiden sich unsere Geschichten, Haltungen, Erfahrungen und letztere werden von den Älteren nicht etwa aus der Erinnerung früherer Jahre hervorgekramt und zum Besten gegeben, nein, es passiert alles zur selben Zeit, heute. Als meine Tante Else 58 war, hatte sie keine Affairen, weder im Dezember noch sonst wann. Wahrscheinlich nie. Das war noch die Zeit der ein-Mann-Politik.


Wir sind offenbar verdammt, auf ewig das Leben von Zwanzigjährigen zu führen. try and error. 

Mittwoch, 13. Januar 2016

Wie mir gestern mein Ego zermatscht wurde


Oh Mann, war ich sauer. Da stand ich pünktlich um 19 Uhr vor dem Konzerthaus am Gedarmenmarkt und bekam eine sms "Ich bin erst Yorckstraße". Hätte ich ihr die Karte doch nur schon vorher gegeben, dann könnte ich jetzt reingehen und müsste nicht frieren. 

Ich hatte nämlich beschlossen, dass ich dieses Jahr nicht nur zusage, am Neujahrsempfang der Lufthansa teilzunehmen, sondern auch hinzugehen. Es fehlte nicht viel und ich hätte "Viel Spaß an der Yorckstraße, ich fahr nach Hause" geantwortet. So blieb es bei einem sozialverträglichen "Ist nicht dein Ernst?" und kurz darauf folgte "Ich sitz im Taxi, bin in fünf Minuten da." 

Es hatte auch Vorteile: ich war so durchgefroren, dass ich das gesamte Konzert benötigen würde, um aufzutauen, was wiederum mich und andere davor bewahren würde, mir die Kleider vom Leib zu reißen, mir ist in Menschenansammlungen immer zu warm. 

Aber erst mal bekam mein Ego auf die Fresse. 

Es ist etwas ganz anderes, als Grüßaugustine auf unseren Empfängen tätig zu sein, als auf anderer Leuts Empfänge als Gast herumzustehen. Obwohl ich ein kleines Licht bin (an mir ist nichts prominent oder wichtig, ich muss nur dafür sorgen, dass alles läuft), bin ich dennoch gewohnt, dass mein Lächeln erwidert wird; ich strahle wie ein Flakscheinwerfer, professionell aber natürlich, das ist mir von Geburt an gegeben.

Jetzt lächelte ich die an, die ich kannte und die normalerweise auch mich kennen, aber die lächelten zweifelnd zurück und auf ihrer Stirn stand geschrieben "Wer ist das, warum lächelt die, spinnt die?" Da war's aber schnell vorbei mit meiner Großartigkeit. Nur der eine, den ich immer den letzten-reichen-Mann-in-meinem-Leben-der-mich-anbaggert nenne, machte mir für eine Weile seine Aufwartung, Gottseidank, sonst wäre ich völlig zerrüttet gewesen.

Ich ließ mir nichts anmerken und sagte meiner Freundin nicht so Sachen wie "Du, den kenne ich, das ist der Dings.", nur damit sie dann merkt, dass der Dings mich nicht kennt. Peinlichkeiten sollten ausschließlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit vonstatten gehen. Ich behielt also alles für mich, hörte auf, dumm rumzulächeln und versuchte, mich mit ihr zu unterhalten, was bei der Geräuschkulisse mörderisch war, denn ick hör ja nüschte.

Wir saßen im zweiten Rang, was meiner Position wohl angemessen war; ganz in meiner Nähe saß ein abgehalfterter Sprecher und ein Journalist, der noch den zweiten Weltkrieg persönlich miterlebt hat. Tja, eine Tippse ist eine Tippse ist eine Tippse.

Aber das ist alles Jammern auf Weltniveau, denn dann kam die - mich mit allem versöhnende - Musik. Mein Avatar (und für die Kenner: auch mein Blogname) lässt ganz richtig vermuten, dass hier eine schreibt, die früher gerne Star Trek geguckt hat, und so hörte ich mit Gänsehaut eine konzertante Aufführung sämtlicher Titelmelodien bis hin zu Deep Space Nine. Ich starrte hingerissen auf das Orchester und als ich mich begeistert meiner Freundin zuwandte, sah ich, dass sie traurig an die Decke schaute. 

Herrje, ich vergaß! Ihr abspenstiger Gatte, ein Langweiler vor dem Herrn, mit dem mich nur eins verband, unsere Leidenschaft für alberne Science Fiction Serien, hatte das Haus über Jahre beschallt mit den eingängigen Melodien, sein whatsapp Profil zierte gar ein Foto von Captain Picard. Sie kam schlecht drauf, ich immer besser. Ich spürte, dass sie das Taxi ab Anhalter Bahnhof, um mich nicht noch mehr zu erzürnen, letztlich unter Fehlinvestition verbuchte. 

Aber so ist das Leben, eine heult immer.

Montag, 11. Januar 2016

Oh, I'll be free

Im Harz fragten meine Freunde öfter, ob es mir gut gehe, ich sei so still wie nie zuvor, kaum wiederzuerkennen. So ist das, wenn man nichts hört. Man sitzt am Tisch und versucht, dem Gespräch zu folgen und weil das nicht möglich ist, hält man halt die Klappe.

Haltet euch mal die Ohren zu: so höre ich. Allet wie durch Watte. Andererseits hört man andere Sachen: das eigene Atmen, den Tinnitus, die eigene Stimme, den Herzschlag, ganz schön laut, so in einem drin. Da ist man mit beschäftigt. 

Nun machten sich meine Freunde nicht nur Sorgen, ob ich wohl neuerdings von einer insgesamt eher histrionischen Persönlichkeitstsruktur zum Asperger Syndrom gewechselt bin, sie machten sich auch Sorgen, dass ich überhaupt so taub bin, so lange schon. "Dass du so ruhig dabei bleibst!" Als wir uns trennten, musste ich jedem einzelnen in die Hand versprechen, dass ich mich umgehend zum Arzt begebe. Ich war irritiert, weil wir sind nicht so eine Köpfchen-Streichel-Fraktion. So fing auch ich an, mir Sorgen zu machen

Natürlich ging ich nicht gleich zum Arzt, ich war schließlich erst am 23.12. bei ihm, sondern nahm den heute geplanten Termin wahr. In der Ruhe liegt die Kraft. Am Freitag war ich ganz beglückt, denn rechts konnte ich plötzlich wieder hören, ich war dem Leben wiedergegeben. Ich nahm meine Gesprächsbereitschaft wieder auf und meine ursprüngliche Körperhaltung wieder ein (bye bye stirnrunzelnd nach vorne gebeugt). Freute mich auf heute, weil ich dem Arzt gute Neuigkeiten verkünden konnte. Endlich. Samstag war toll, Sonntag war toll.

Heute morgen wachte ich auf: stocktaub again. Ich bekam einen hypochondrischen Anfall, der mich so stresste, dass ich nachmittags sogar ein bisschen schluchzen musste. Es ist nämlich unheimlich anstrengend, nicht zu hören, ich bin auch nur ein Mensch.

Und bekam Angst vor dem Arztbesuch. Naja, erstmal der obligatorische Hörtest. Ich hörte nichts, behauptete aber, zu hören. Wenn man den Sehtest beim Augenarzt nur oft genug macht, kann man die Buchstaben auch irgendwann auswendig. Bei einem Hörtest ist das nicht viel anders. Ich kenn den in- und auswendig und weiß, wann ich die Hand zu heben habe. 

Mein Herz schlug immer schneller, denn ich kann zwar die Arzthelferin bescheißen, mich selbst aber nicht. Aber ich wollte keine stationäre Aufnahme, die - wie mir klar wurde  - unausweichlich sein würde. Und dann noch die Zufallsbefunde, ein einziges worst case Szenario. Nun ja.

Der Arzt meinte zwar, wenn es so weitergeht, muss ich ein Röhrchen ins Trommelfell bekommen (ich habe lieber nicht gefragt, wie er das eigentlich reinbekommt. Ich hoffe per Osmose), aber bis es soweit ist, soll ich einfach jeden Tag zum Druckausgleich kommen. Da wird einem mit einer Tankstellen-Pumpe Luft durch die Nase ins Gehirn gejagt, nichts für schwache Nerven. Das Gute daran: man hört wieder. Für ein paar Stunden. 

Auf der Rückfahrt machte ich das Autoradio an, man muss die Zeit schon nutzen. Nun ist auch noch Bowie tot. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand so exquisit getimt gestorben ist. Und so einen Clip hinterlässt. Unübertroffen würdevoll. 

Ich habe ja auch mein Bowie-Erlebnis, tangential-sekundär zwar (nein, ich erzähle jetzt nicht von alten Dschungel-Zeiten, und selbst wenn ich dort gewesen wäre, würde ich das nie zugeben, sonst wüsste auch der Letzte, dass ich nicht mehr 3xqglmpf bin, und das werde ich zu verhindern wissen), aber dennoch: Der longtime Bestseller "Die Kinder vom Bahnhof Zoo" ist ja wohl für jeden unterlegt mit der Musik von Bowie. Als ich noch im Buchhandel arbeitete, stand eines Tages eine Omma vor mir und wollte das Buch "Menschen im Zoo". Ich lachte für den Rest des Tages, weil es so rührend weltfremd war, dass sie das Buch zwar haben wollte, aber offenkundig keinen Schimmer hatte, worum es ging. 

Genau so wie ich lachte und nicht mehr aufhören könnte, als nach "Sidderat" von dem "berühmten Heinz Hesse", nach einem Kinderbuch von "dem bekannten Ernst Bülton" und, nicht zu vergessen, nach Martin Walsers "Der galoppierende Hengst" gefragt wurde. Aber das ist ja im Grunde ein anderes Thema.

Sonntag, 10. Januar 2016

Aber denk dran, alle lieben Peter Ustinov!

Bin auf einer Party, sitze in der Küche und lausche den Erzählungen eines Mannes, der keine landläufige Schönheit ist, was zwar nicht schadet, aber auch nicht Not tut. Ausstrahlung bringt's viel mehr. Haben die wenigsten, er hat sie. 

Also okay, keine Schönheit der Mann, etwas aus der Form geraten, große Nase, volle Lippen, er strahlt Sinnlichkeit aus. Davon weiß er nichts, er beabsichtigt das sicher auch nicht, denn er erzählt nur so allgemein, aber unterhaltsam in die Runde von seinem Lehrerdasein.

Wir, also alle am Tisch, lachen viel, er unterhält uns gut und ihm gelingt dabei das Kunststück, gleichzeitig wie eine Rampensau UND zurückgenommen zu wirken. Königsklasse. 

Mir ist nicht ganz klar, welche Frau am Tisch zu ihm gehört und bin dann erstaunt, dass es die ist, die... nee, das sag ich jetzt nicht. Sie redet auch viel, aber sie brüllt eher, als dass sie spricht. Sie ist ebenfalls unglaublich freundlich und offen, so wie ich das immer erlebe, wenn ich auf Festen bin, in denen Wessis in der Unterzahl und auch nur die "angeheirateten" Gäste sind. 

25 Jahre nach Mauerfall hat sich daran nichts geändert. Man lernt alle kennen, weil es nicht um Coolness geht. Es gibt keine eingefleischten Grüppchen, die unter sich bleiben. Es wird gequatscht und gesoffen, egal, ob sie getunt oder naturbelassen sind. Sie wirken in sich ruhend und selbstgewiss. Es gibt keine Mauerblümchen, weder bei den Männern, noch bei den Frauen. Alle führen das Wort und alle hören gutmütig zu.

Irgendwann sage ich "Weißt du, an wen du mich erinnerst?" Ich zögere, denn Peter Ustinov ist vielleicht nicht der Phänotyp, mit dem ein Mann verglichen werden will, außer er ist ein kluger Mann, der weiß dann, dass es sich um ein Qualitätsmerkmal, Sektion Charisma, handelt. Also sage ich, bevor ich den Namen lüfte: "Versteh mich nicht falsch, ich finde ihn toll." 

Er kennt Peter Ustinov nicht, worüber ich erstaunt und für den Moment ein bisschen erleichtert bin. Die anderen stimmen ein in den Chor "Ja wirklich, du bist ihm ähnlich." Er sagt, dass er mal googlen wird und andere zitieren aus Nero und eine sagt "Aber am Ende hat er gequiekt wie ein Schwein", was auch irgendwie ein Zitat ist und ich sage "Bist du wohl still!" Ich rate ihm, sich den Film "Die Stunde der Komödianten" anzusehen, oder alte Talkshows, in freier Rede war Ustinov immer am besten und dann würde er schon verstehen, was ich meine.

Jedenfalls, er sticht raus, wie wir Wessis auf dem Nachhauseweg übereinstimmend feststellen.

Donnerstag, 7. Januar 2016

Working Girl

"Guten Tag, ich rufe vom Dingsbumsamt an und will die Telefonnummer von Jürgen Krause (Name von der Redaktion geändert) 

Hä? Bin ich die Auskunft oder was?

"Selbst wenn ich sie hätte, dürfte ich sie Ihnen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht geben."

"Ich brauche sie aber dringend. Könnten Sie mal schauen, ob Sie sie haben?"

Ich könnte schauen. Und ich muss schauen, denn das ist bestimmt wieder so ein verfluchter Testanruf, mit dem geprüft wird, ob unser Dienstleistungsgedanke mit Leben gefüllt wird. Und am Ende darf ich die Nummer trotzdem nicht rausgeben, was ich aber mit soviel Liebreiz erklären muss, dass mir am Ende die Adoptionspapiere überreicht werden. Ich hasse das. Diese Testanrufer denken sich derart schwachsinniges Zeug aus, dass ich immer fürchte, mich zu vergessen. 

"Moment, ich seh mal nach, aber wie gesagt, ich  darf sie Ihnen nicht geben, falls ich denn eine finde."

Die Bitte um eine Telefonnummer hört sich harmlos an, aber wenn man den Anruf in Relation zu meinem Arbeitgeber und dann auch noch zur Abteilung, in der ich arbeite, setzt, kann die Anruferin eigentlich nur eine Quartalsirre sein. Natürlich kann man im Prinzip in jedem Unternehmen anrufen und nach einer Telefonnummer fahnden, weil ausnahmslos jedes Unternehmen Adressdaten pflegt. Vielleicht gibt es einen Zufallstreffer, wer weiß das schon? 

"Ich habe schon im Internet geguckt, da gibt es ganz viel über Jürgen Krause, aber nicht seine Telefonnummer."

Nicht möglich. Wahrscheinlich eine Stalkerin. 

"Ich hab den auf Ihrer Website gefunden."

"Auf unserer Website? Wo denn da?"

Sie liest einen Text vor, aus dem hervorgeht, dass wir mal mit dem zu tun hatten. 

"Können Sie mir den Link schicken, dann schau ich mir das selber mal an."

"Oh, der Link. Der ist aber sehr lang."

"Einfach kopieren und an meine Adresse schicken."

Sie murmelt den Link vor sich hin, offenbar schreibt sie ihn ab. Es ist still, ich höre sie angestrengt atmen. 

"Ich hab mich verschrieben, Moment noch."

Ich schlage mit dem Kopf auf den Tisch, im Geiste jedenfalls und schreie lautlos vor mich hin. Minuten vergehen, jetzt tippt sie ihn ab. Ich kotze im Strahl. Was waren das früher für schöne Zeiten, da herrschte die oberste Direktive, Irre sofort abzuhängen. Heute hetzen die Testanrufer auf uns, die sich wie Irre gebärden und unsereiner muss seine kostbare Zeit mit so einem Schwachsinn vergeuden.

"Ich hab's abgeschickt." 

Wunder geschehen. Ich klick auf den Link und komme auf eine Seite aus dem Jahre 2011, Mann, was wir alles an Content haben, geht auf keine Kuhhaut. Aber stimmt, wir haben mal mit Jürgen Krause zu tun gehabt, bzw. mit seiner Firma. Die Testanruferin ist gut gebrieft worden. Oder ich finde gerade in irgendeiner Radiosendung statt. 

"Ah ja, ich hab die Firma gefunden."

"Ja und? Haben Sie jetzt seine Nummer?"

"Moment."

Ich finde seine Nummer. 

"Nein, tut mir leid, keine Nummer,"

"Aber er ist doch auf Ihrer Website."

"Tut mir leid, hab nur eine Mailadresse. Info@Firma.de"

Damit kann ich nichts falsch machen. 

"Oh, das ist aber toll."

Ja toll, verarschen kann ich mich selber. Wahrscheinlich wird sie bemängeln, dass ich sie nicht auf den Newsletter hingewiesen habe, irgendwas fällt denen immer ein, was man falsch gemacht hat. Ist mir schon mal passiert, dabei haben wir gar keinen Newsletter.

Mittwoch, 6. Januar 2016

Zurück im Büro

Das Schöne am Schnee ist die Stille und dass es Nachts hell ist. Nicht, dass ich davon viel mitbekomme, ich sitz ja drinnen, groggy von drei Zehn-Stunden-Tagen im Büro, die ich ohne nennenswerte Pause durchgearbeitet habe. 

Nein, heute bin ich mit einer Kollegin essen gegangen. Wir nahmen die Karte. "Wo ist denn M 5? Ich nehm doch immer M 5?" M 5 is nich mehr, heißt jetzt 2 A, Besitzerwechsel. Was sich alles verändert, nur weil man mal vier Wochen nicht im Büro war. Dann beschwerte sie sich über den bellenden Hund im Restaurant. "Welcher Hund?" Ich bin immer noch stocktaub. Ich hör den ganzen Tag Darth Vader - nämlich mich, beim atmen. Wenn ich das Telefon klingeln höre, halte ich das inzwischen für einen Achtungserfolg. Aber das nur nebenbei.

Wer hätte das gedacht? Ich will lieber nicht arbeiten. Natürlich bei bester Gesundheit und ohne finanzielle Abzüge. Das ließe sich das gut aushalten. Habe ich im Dezember gelernt. Wo ich doch sonst nach einer Woche Krankenschein mit den Hufen gescharrt habe, damit ich bloß schnell wieder als strukturiertes Rädchen im Getriebe mitmischen darf. Was habe ich mich immer wohl gefühlt innerhalb enger Grenzen. Hab immer getönt, wenn ich mal nicht mehr ins Büro darf, werde ich verlottern und ungeduscht "Vera am Mittag" gucken.

Nun war ich einen ganzen Monat zuhause und fühlte mich von Tag zu Tag besser. Mir war ganz friedlich ums Herz. Man hat im Büro eben nur eingebildete Freiheiten. Fängt ja schon mal damit an, dass man da hin und eine gewisse Zeit bleiben muss. Dass man Leute ertragen muss, die man freiwillig nicht um sich scharen würde. Und für die wirklich netten Kollegen hat man gar keine Zeit. Die haben zu tun und ich auch.

Und jetzt fahr ich nach Hause und hab keine Energie mehr. Wo ich doch im Dezember Lust auf alles Mögliche hatte. Die ganze Welt stand mir offen. Morgens aufstehen und Feierabend rufen. Nach dem Frühstück wieder einschlafen. Nur schöne Sachen machen.  Jeden Tag war was Hübsches dabei. Ich hab nicht mal Weihnachtsblues bekommen, das war überhaupt das Beste von allem. 

Drei Tage mit Cheffe und ich hab Büroblues. Der zieht mir binnen kurzem allen Saft aus der Batterie. Ich hätte nach Hamburger Modell wieder anfangen müssen. Langsame Gewöhnung. Schrittweise, im ersten Monat zwei Stunden täglich, im zweiten Monat zweieinhalb Stunden, und immer so weiter, das wär's gewesen.

Das einzige, was ich jetzt noch lahmarschig machen darf, ist Auto fahren. Schnee macht's möglich, höchstens 30 und Spaß dabei. Ich bin nicht mehr dieselbe. 

Sonntag, 3. Januar 2016

Harzreise im Winter

Ich hatte mir extra eine "Harz-Mütze" gekauft, weil ich vor Wochen davon ausgegangen bin, dass wir im tiefsten Schnee durch den Harz stapfen werden. Bei frühlingshaften Temperaturen fuhren wir los und mir fiel gar nicht schwer, zum rauchen vor die Tür zu gehen. Ich hab das sogar sehr gern getan, denn mit zehn Leuten fünf Tage lang in einem Haus zu leben, weckt auch bei brutalstmöglicher Harmonie die Sehnsucht nach Auszeiten. 

Eine Viertelstunde in den totenstillen Nebel zu schauen, mir einzubilden, dass jemand aus dem schauerlichem Gewabere auf mich zukommt, ein untoter Förster vielleicht oder ein Axtmörder, machte es immer wieder zu einem Vergnügen, mich erneut meinen nichtrauchenden Freunden innerhalb des Hauses anzuschließen. 





Die Harz-Mütze, ein bommeliges Exemplar, das mich an meine Kindheit erinnert, brauchte ich zunächst nicht. Gottseidank, denn ich habe weder ein Hut- noch ein Mützengesicht. Inzwischen ist es so kalt, dass mir völlig gleich ist, ob sie von meiner ungeeigneten  Physiognomie ablenkt oder nicht, denn ich habe Silvester einen folgenschweren Vorsatz gefasst: rauchen nur noch auf dem Balkon.

Um ehrlich zu sein, hielt ich das nach Rückkehr genau drei Stunden durch: bei minus 7 Grad in eisigem Ostwind auf dem Balkon zu stehen, was summa summarun gefühlte minus 27 Grad macht, kann keine Frau durchhalten. 

Ich fuhr im Auto meiner Freunde von gegenüber mit. Sie sind ein gut eingespieltes Paar, es bleibt keine Emotion im Verborgenen. Sie streiten wie die Kesselflicker und eine halbe Stunde später zeugen sie ein Kind. Eine sehr dynamische Beziehung, was mir gut gefällt. Kurz vor Magdeburg fiel ihm ein, dass er ein Tablet haben will. Sie weigerte sich, die Autobahn zu verlassen, die Stimmung kippte. Ich intervenierte; sie wisse doch, dass er die ganze Woche greinen würde, denn er kauft gerne ein; allerdings kann er nichts verschieben - ist der Gedanke erst im Kopf, sitzt er auch schon im Auto und fährt für Teelichter bis nach Hamburg.

Jedenfalls beriet ich ihn und nach 20 Minuten sprangen wir wieder ins Auto. Ich spürte seine Entspannung und sein unmittelbar folgendes Desinteresse an seinem Neuerwerb, kein Wunder, man könnte habilitieren über seine Kaufsucht.

Anyway, wir kamen pünktlich in dem einsamen Försterhaus an. Ich hatte keine großen Erwartungen und wurde überrascht, denn es entpuppte sich als so ziemlich das geschmackvollste Ferienhaus ever. Drei Bäder plus zwei Gäste-WCs, und auch sonst blieben keine Wünsche offen. 

Wir hatten auch ein Silvester-Geburtstagskind dabei, das sich allerdings am Vorabend, kurz vor Mitternacht, mit ihrem Mann in die Wolle bekam, so dass sie zwar noch sein Geschenk stumm entgegen nahm (unser Gruppengeschenk - ein einwöchiger Aufenthalt im Vabali - verpuffte in der angespannten Trennungsstimmung), sich dann ins Bett legte, ab 4 Uhr morgens zu kotzen begann und damit bis Neujahr nicht mehr aufhörte. 

Die Unglückliche fehlte uns sehr beim Krimidinner, sie war als die triebhafte Schlampe Adelheid eingeplant - ihre Rolle musste von der Spielleiterin übernommen werden, die aufgrund der Doppelbelastung ein wenig ins schwimmen kam. Ich war die reiche und elegante Elvira, die mit ihrem Geld die Hanfplantage am laufen hält, aber mit José ein neues Glück auf Ibiza finden will, der sich im Spielverlauf als Vagina-überdrüssiger Gynäkologe Josef entpuppte und nur so tat, als sei er ein Frauenheld. 

Angesiedelt war das Setting auch noch in den 70er Jahren, weshalb wir uns kurz vor Weihnachten bei Deko Behrends in der Hauptstraße einfanden, um uns einzukleiden. Die Männer bekamen falsche Koteletten, Oberlippenbärte, alberne Spiegelglasbrillen und fanden nach anfänglichem Gemecker über diesen Idiotenscheiß recht schnell in ihre Rollen.

War ich sauer, als ich meine Rollenbeschreibung kurz vor Spielbeginn las: ich musste einen weißen Kopfverband tragen, weil mir Babette, die Inselköchin, eins über die Rübe gezimmert hatte. Ich band mir Zewa-Wisch-und-Weg um den Kopf und befestigte es mit dem Blumenkranz, der eigentlich so trefflich mein Haupthaar in Szene setzen sollte. Ich erwähnte glaube ich schon, dass ich kein Hutgesicht habe und sorgte dafür, dass von mir keine Fotos existieren.  

Dann war Mitternacht und wir gingen raus: Totenstille, kein Feuerwerk weit und breit. Wir waren ja mitten im Wald, aber vorbereitet mit Raketen im Wert von 25 Euro und anderem kläglich zischenden Böllerkram. Ungefährlich war das natürlich trotzdem nicht in unseren 1000%-Vollplastik-Klamotten. Nach zehn Minuten war alles Pulver verschossen und es herrschte wieder Totenstille bei 95 Grad Luftfeuchtigkeit, der Nebel waberte. Spooky. 

An Neujahr wollte ich auf den Brocken, wegen der tollen Aussicht. Die anderen fanden die Idee gut. Allerdings wollten sie nicht mit dem Zug hochfahren, sondern hoch wandern, sie sind so verdammt vital. Ich hab ja Knie und schlich mit der geschwächten Adelheid magenfreundliche anderthalb Stunden duch den Wald direkt vorm Försterhaus. 

Auf dem Brocken war es so neblig, dass die Sportskanonen kaum die Hand vor dem Gesicht sahen, und kaum waren sie oben angekommen, fuhr auch schon 18 Minuten später der Zug wieder nach unten, wofür jeder 24 Euro zahlen musste. 

Hätten sie mal vorher Goethe gelesen: 

"Nur ein Wort zur Erinnrung. wie ich gestern zum Torfhause kam sas der Förster bei seinem Morgenschluck in Hemdsermeln, und diskursive redete ich vom Brocken und er versicherte die Unmöglichkeit hinauf zu gehn, und wie offt er Sommers droben gewesen wäre und wie leichtfertig es wäre ietzt es zu versuchen. Die Berge waren im Nebel man sah nichts, und, so sagt er ists auch ietzt oben, nicht drei Schritte vorwärts können Sie sehn. Und wer nicht alle Tritte weis pp. Da sas ich mit schwerem Herzen, mit halben Gedancken wie ich zurückkehren wollte."

Auf der Rückfahrt machten wir erneut in Magdeburg halt, denn das Tablet musste umgetauscht werden. 

Ich aß in eisigem Wind gleichmütig eine Bockwurst, die Harz-Mütze schützte vor Gefrierbrand im Oberstübchen. Niemandem fiel auf, dass ich kein Hutgesicht habe.