Donnerstag, 16. März 2017

Tschüss, Robert!


Heute haben wir unseren alten Chef zu Grabe getragen. Die Trauerhalle platzte aus allen Nähten. 

Einige habe ich nach 15 Jahren das erste Mal wieder gesehen. Unsere Prokuristin, stets eine vitale, elegante und strenge Dame - jetzt ein kleines, greisenhaftes Öhmchen. Die Buchhalterin, immer noch das Biest mit einem Blick, der tötet. Der legendär zynische Leiter der Belletristik - traumschön wie eh und je. Der trinkfreudige Hüter der "Jetzt zerstör ich ihn selbst"-Autoreparaturbücher begrüßt alle Frauen mit Handkuss. 

Nr. 1 war untröstlich. Er wurde vom Pfarrer in der Trauerrede öfter erwähnt als die Kinder. Recht so. Er war auch das eigentliche Kind, später Beschützer und engste Bezugsperson dieses so außergewöhnlichen Mannes. Sein Sohn spielt eine kambodschanische Weise auf der Flöte.

Wir blieben bis in den frühen Abend zusammen.

"Als ich meinen ersten Tag hatte, saß ich bei ihm im Büro. Da fiel ihm plötzlich etwas ein, er sagte, ich komme gleich wieder, warten Sie hier. Da saß ich dann, auf seinem Schreibtisch ein riesiger Bündel Geldscheine, unter dem Tisch der Schäferhund. Ich dachte, ich bin bei 'Versteckte Kamera'."

"Das erste Hoffest, ich bin fast irre geworden, weil die Tische nicht kamen. Und die ganzen Buchhändler aus der Umgebung standen schon da und wollten aufbauen. Dann schrie ich der Firma ins Telefon, aber das nutzte ja auch nichts. Kam Herr Kiepert und meinte, mal sehen, was wir im Keller haben. Und im Keller war wirklich alles!"

"Einmal lag er mitten im Landkartenladen auf den Boden, ihr wisst ja, die Birkenstocks neben ihm, in seiner ollen Lederweste schraubte er irgendein Brett wieder an. Er hat sich immer so gefreut, wenn was kaputt war, er hat doch so wahnsinnig gerne repariert. Kam ein Kunde vorbei und meinte zu seiner Frau "Die haben aber einen alten Hausmeister".

"Und wisst ihr noch, als die Frau von Nr. 1 Richard von Weizsäcker an der Kasse nicht erkannte und seinen Ausweis verlangte, als er seine Kreditkarte rüberschob? Und wie dann jemand Herrn Kiepert holte, und Weizsäcker widerum ihn nicht erkannte? Er war ja nicht so der Red Carpet Typ."

"Und wie ewig dieser Minister mit seinen Personenschützern stundenlang den ganzen Laden aufhielt. Aber er ist ein guter Käufer, sagte Kiepert immer."

"Als er den Schwächeanfall hatte und sich weigerte im Krankenhaus zu bleiben. Stellte den Tropf heimlich schneller und zwei Stunden später stand er wieder im Laden."

"Könnt ihr euch noch an die vier Putzfrauen erinnern? Jeden Morgen in der Küche konnte man vor Rauchschwaden den Kühlschrank nicht finden. Die waren eine Instanz und hatten echtes Bedrohungspotential." 

"Mich fragte er immer 'Und, wie geht's ihrem Sohn?' - 'Meiner Tochter geht's gut.' Jedes Mal dasselbe. Aber er hat sich eben um mein Kind gesorgt."

"Erinnert ihr euch noch an Pinkel-Paule? Dieser Vertreter, der jedes Mal, bevor er den Laden betrat, hinten auf dem Parkplatz ins Gebüsch pinkelte und der Trottel dachte, das sieht keiner. Niemand wollte ihm die Hand geben."

"Als Michael Jackson an zwei Abenden nach Feierabend im Haus war. Und ich blöde Kuh saß im Büro und glaubte der Kollegin nicht, die nach hinten kam und erzählte. 'Verarschen kann ich mich alleine.' Und am nächsten Tag kam sie wieder, und ich meinte 'Na, ist Michael Jackson wieder da? Ja? Verarschen kann ich mich alleine.' Naja, ich hab dann immer aus der Zeitung erfahren, dass er da war."

"Und wenn Günter, der Fahrer, von seiner Tour zurück kam, pfiff er alle zusammen und dann wurde gesoffen. Es wurde jeden Tag gesoffen, ein Grund fand sich immer."

Was waren das noch für Zeiten, als alle gleich wichtig waren. Putzfrauen, Hausmeister, Fahrer, Buchhändler, Vertreter - alle waren auf allen Festen.


 

Die Zeit vergeht, die Erinnerung bleibt. 

5 Kommentare:

  1. So einen Chef hätt ich auch gerne gehabt. Und solche Kollegen. Und überhaupt Buchhandlung... <3

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja, das war gestern wie das eintauchen ins Paradies. Wir hatten es so gut.

      Löschen
  2. Wo du die ganzen Erinnerungen hervorgeholt hast fiel mir auch eine ein:

    Als Stepke von 4 Jahren durfte ich ab und an mit zu Mutti in die Buchhandlung. Wenn ich heute vor so einem richtigen Geschäft stehe muss ich die Farbe und das Papier nur riechen und alles kommt wieder: Das Leimfäßchen mit Pinsel von "Barock" und die ganzen anderen DDR-Büromaterialen auf ihrem Schreibtisch. Und das graue Telefon auf dem ich die Zeitansage anrufen durfte. Oder die ziemlich junge Mitarbeiterin die mich im Laden zum Fußballspielen angestiftet hat.. Sehr zum Unmut meiner Mutter.

    Hach!

    AntwortenLöschen
  3. Wie schön, wenn einer geht und doch bleibt. Je mehr Macken, desto besser, wenn das Herz auf dem richtigen Fleck war.
    Was mich nur wundert: Laut Tagesspiegel war er schon Anfang Februar gestorben - und erst jetzt Beerdigung?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Überall Personalnot! Es dauert jetzt offenbar in Berlin, unter die Erde zu kommen. Wir haben uns auch gewundert.

      Löschen