Montag, 5. Februar 2018

Take the right Choice

Als ich ihn kennenlernte, vor einigen Jahren, bei einem "Reiterwochenende für Ängstliche", war er schon 70 Jahre alt und ich war in der Gruppe mit ihm und noch zwei anderen Teilnehmern natürlich die einzige, die wirklich Angst hatte. Was andere so unter Angst verstehen, würde ich unter "leichtes Unbehagen" kategorisieren, oder aber es handelt sich um äußerst mutige Menschen, die ihrer Furcht eisig ins Gesicht schauen und nicht so verpimpelt sind wie ich.

Ich bewunderte, dass er in seinem Alter reiten lernen wollte. Ich fand mich ja selber viel zu alt für so einen Quatsch, dabei trennte uns fast ein Vierteljahrhundert. Jedenfalls übte er vollkommen angstbefreit alles, was uns die Trainerin befahl und später brachte ihm seine Frau Kuchen; so lernte ich sie kennen, denn der Kuchen wurde an uns alle verteilt. Wir saßen in der Sonne und sie erzählte von ihrem Pferd, das auch auf dem Hof stand. Sie war ungefähr in meinem Alter - und das war der Grund für seine Ambitionen. Er wollte ein gemeinsames Hobby mit ihr.

Während ich bei meinem ersten Versuch, die Reiterei zu erlernen, kläglich auf dem Wachkoma-Schuldpferd scheiterte, kaufte er sich binnen kurzem ein eigenes Pferd und galoppierte durchs Gelände. Zur Übung hatte er noch ein paar Einzelstunden gebucht und dann fand er, er könne alles. 

Meine Nachbarin, deren Tochter auch auf dem Hof reitet, raunte mir zu "Naja, mit reiten hat das nicht viel zu tun, was er da macht." - aber ich schalt sie, darauf kommt es nicht an, wenn man mit 70 das erste Mal auf einem Pferd sitzt, finde ich. Oben bleiben und Spaß haben, was will man mehr?

Ich scheiterte also vor mich hin und brach dann wegen einer Fernbeziehung ab; die Wochenenden waren fortan der Liebe und ihren Abgründen vorbehalten und das Wachkomapferd hatte seine Ruhe vor meiner Stümperei. 

Sporadisch brachte ich die Tochter meiner Nachbarin in den Reitstall und es war immer ein großes Hallo, wenn ich ihn traf. Wie begrüßten uns herzlich und ich bewunderte, wie unverdrossen er tagein, tagaus durch die Landschaft ritt. 

Dann kam es zu meinem zweiten Versuch, mir das reiten doch noch beizubringen; erstmal über die Bodenarbeit, wie hier schon beschrieben und die wunderbare Pferdebesitzerin, die ich schon oft erwähnte, ist niemand anderes als seine Frau. Man kann das gar nicht genug schätzen, dass sie mich auf ihrem eigenen Pferd dilettieren ließ. Aber ihr Pferd ist gefragt in jeder Hinsicht. Es trägt Mädchen durch die Gegend, die Handstand auf ihm machen, es lässt sich vor eine Kutsche schnallen, es bleibt ruhig, wenn alles rundherum in Panik ausbricht und sogar, dass es in seiner Herde gemobbt wird, weil es einfach nicht rumzicken mag, ficht es nicht an. 

Einmal habe ich beobachtet, wie zwei Wallache auf die Nachbarweide gebracht wurden. Ich wurde Zeugin einer Stampede; alle Stuten galoppierten wie angestochen direkt auf mich zu, die ich zufällig am Zaun stand und bogen kurz vor mir ab, das war sehr beeindruckend; mir klopfte das Herz - allein dieses durch wahrlich nichts zu beeindruckende Pferd blieb desinteressiert am Rand stehen.

Es hat auch meine Versuche, es zu trensen, geduldig ertragen, wie es überhaupt alles mit Engelsgeduld über sich ergehen lässt, und obwohl dem Goldstück nachgesagt wird, sich am liebsten überhaupt nicht zu bewegen, hat es noch eine andere Seite, von der niemand eine Ahnung hatte, bis der feurige Italiener auftrat, unter dem es jeden Samstag morgen im gestreckten Galopp über die Felder rast. Und ja, selbst sein Springtalent wurde entdeckt, als die Tochter meiner Nachbarin eine Weile auf ihm ritt. Eine eierlegende Wollmilchsau. Was sag ich, ein One-Million-Dollar Pferd.

Aber zurück zu ihm, dem unverdrossenen Reiter, der nun immer älter und älter wurde, was ihn weiterhin nicht hinderte, mutterseelenallein ins Gelände zu gehen, was man eigentlich nicht tun sollte, auch in jüngeren Jahren nicht. Er ließ kein Zipperlein gelten, das ihm die Jahre bescherte. Und sein Pferd, das einen gewissen unwirschen Charakter hat, machte es ihm nie leicht. Zwei Sturköpfe, die sich nichts schenkten. 

Neulich jedoch wollte es mitten im Wald mit ihm durchgehen. Mit aller Kraftanstrengung vereitelte er drei Versuche, dann bekam er das erste Mal Angst, stieg ab, was in so einer Situation fast noch gefährlicher ist, als oben zu bleiben, denn ein Pferd, dass die Biege machen will, wittert die Chance sofort. Der Moment, wo man zwischen Himmel und Erde schwebt, wird gerne genutzt, Gas zu geben, ungeachtet dessen, dass man den Reiter im Steigbübel hängend hinter sich herzieht. Er hatte aber Glück und machte sich auf den langen Fußmarsch zurück in den Stall, der seinem Alter entsprechend leider viel zu lang und kraftraubend war. 

Seiner Frau murmelte er zu "Ich glaub, ich steig nie wieder auf." Drei Tage später wurde er todkrank ins Krankenhaus gebracht. Niemand weiß, was er hat, die Ärzte finden keine richtige Erklärung für sein Leiden. 

Ich glaube, er ist gegen das Alter angeritten und nun muss er sich entscheiden, ob er sein Leben auch noch gut findet, wenn er nicht mehr über die Felder galoppieren kann. Ich hoffe sehr, dass er es vergnüglich genug findet, sein Pferd zu striegeln. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass das völlig ausreichend ist.

4 Kommentare:

  1. Sehr beachtlich, und meine ganze Bewunderung dafür, dass er es so durchgezogen hat. Respekt.

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    1. Meine Rede, der ganze Mann ist beachtlich in vielerlei Hinsicht. Aus jedem einzelnen seiner Zipperlein würde ich hier im Blog ein Riesen-Trara machen.

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  2. Eine schöne Geschichte, die auch noch was zu denken gibt. Nur das Wort "todkrank" ist hoffentlich etwas verfrüht.

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